"Utah-Ehe" per Videotelefonie: Ehe muss in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden
Die Digitalisierung hat die Welt näher zusammengebracht und vieles vereinfacht. Dass dies aber nicht dazu führen darf, dass bei Rechtsgeschäften geltende Formvorschriften unterlaufen werden, zeigt der folgende Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG) landete. Dabei ging es um eine Hochzeit per Videotelefonie von Deutschland aus in den amerikanischen Rechtskreis hinein.
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Die Digitalisierung hat die Welt näher zusammengebracht und vieles vereinfacht. Dass dies aber nicht dazu führen darf, dass bei Rechtsgeschäften geltende Formvorschriften unterlaufen werden, zeigt der folgende Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG) landete. Dabei ging es um eine Hochzeit per Videotelefonie von Deutschland aus in den amerikanischen Rechtskreis hinein.
Ein Türke und eine Bulgarin hatten nach dem Recht des US-Bundesstaats Utah von Deutschland aus eine Ehe geschlossen, und zwar per Videotelefonie. In Bulgarien wurde diese Ehe dann auch anerkannt - jedoch nicht in Deutschland. Dem Ehemann wurde daraufhin die Abschiebung angedroht und der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte als Ehegatte einer EU-Bürgerin abgewiesen. Der Ehemann zog gegen diese Entscheidung und die Androhung vor Gericht.
Er scheiterte vor dem VG. Die Ehe kann nur in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Videotelefonie ist hier zwar möglich, die Eheschließungserklärungen selbst müssen aber in Deutschland abgegeben werden. Hier schloss man die Ehe ja in Utah. Die Anerkennung in Bulgarien spielt für Deutschland keine Rolle, insbesondere ergibt sich hieraus keine Verpflichtung zur Anerkennung. Eine Pflicht zur Anerkennung kann sich ergeben, wenn ein EU-Bürger sein Familienleben anderenfalls innerhalb der EU nicht weiter fortsetzen kann. Das war hier aber nicht der Fall, da die beiden in Deutschland jederzeit nach den deutschen Vorschriften nochmals heiraten können. Darfür bestünden keine Hinderungsgründe.
Hinweis: Die technischen Möglichkeiten können auch Eheschließungen erleichtern. Allerdings sollte immer geprüft werden, ob die gewählte Form der Eheschließung auch im Wohnsitzland anerkannt wird. Denn sonst muss man sich die Mühe der Eheschließung unter Umständen doppelt machen.
Quelle: VG Düsseldorf, Beschl. v. 03.06.2025 - 27 K 5400/23(aus: Ausgabe 07/2025)
Aufsichtspflicht hat Grenzen: Keine Notwendigkeit der Begleitung eines "radfahrerfahrenen" Erstklässlers
Eltern haften für ihre Kinder - meistens. Denn dass diese Regel nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Kempten (AG). Hier ging es um ein Schulkind, das trotz jungen Alters schon einige Erfahrungen als Radfahrer aufweisen konnte. Was in einem Fall eines solchen "alten Hasen" im Alter eines Erstklässlers im Ernstfall passiert, lesen Sie hier.
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Eltern haften für ihre Kinder - meistens. Denn dass diese Regel nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Kempten (AG). Hier ging es um ein Schulkind, das trotz jungen Alters schon einige Erfahrungen als Radfahrer aufweisen konnte. Was in einem Fall eines solchen "alten Hasen" im Alter eines Erstklässlers im Ernstfall passiert, lesen Sie hier.
Der 7,5 Jahre alte Junge befuhr auf seinem Schulweg unbeaufsichtigt eine Straße mit dem Fahrrad. Von einer Straße, die von links einmündete, kam eine Autofahrerin, um ihrerseits rechts abzubiegen. An der Einbiegung hielt sie ihr Fahrzeug an, doch der Junge fuhr vorne rechts in ihr Fahrzeug. Dabei entstand ein Schaden von 628 EUR, und diesen verlangte die Autofahrerin von den Eltern des Jungen bzw. der privaten Haftpflichtversicherung ersetzt. Die Eltern beriefen sich jedoch darauf, dass sie ihrer Aufsichtspflicht durchaus nachgekommen seien. Der Junge sei schließlich erfahren im Fahrradfahren, er fahre bereits seit geraumer Zeit alleine zur Schule und zu Freunden in der näheren Umgebung. In diesem ihm vertrauten Bereich sei es auch zur Kollision gekommen. Im Zusammenhang mit einer Schulweghelfertätigkeit habe die Mutter auch Gelegenheit gehabt, das Kind in seinem Verhalten im Straßenverkehr zu beobachten.
Das AG wies die Klage ab, da nach dessen Auffassung keine Aufsichtspflichtverletzung durch die Eltern vorlag. Es konnte dem Gericht glaubhaft gemacht werden, dass der Junge im Verkehr erfahren gewesen und von seinen Eltern schon beim Besuch des Kindergartens begleitet und angeleitet worden sei. Die Eltern hatten Gelegenheit, das Verhalten ihres Sohns auch im Rahmen der Schulweghelfertätigkeit zu beobachten. Die Strecke sei dem Jungen vertraut gewesen, es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, den Jungen zu begleiten.
Hinweis: In welchem Umfang die elterliche Aufsichtspflicht über am Straßenverkehr teilnehmende Kinder ausgeübt werden muss, hängt von vielen Faktoren ab, wobei das Alter des Kinds eine maßgebliche Rolle spielt, ohne dass diesbezüglich jedoch eine rein schematische Betrachtung zulässig wäre. Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass bei einem Schulkind einer unbeaufsichtigten Teilnahme am Straßenverkehr auf vertrauten Strecken in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Elternhaus - erst recht in einem Wohngebiet ohne Durchgangsverkehr - grundsätzlich keine Bedenken entgegenstehen.
Quelle: AG Kempten, Urt. v. 19.02.2025 - 7 C 735/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Bei Datenschutzverstößen: BGH urteilt über Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden
Im folgenden Fall ging es um einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Informationspflichten der wohl immer noch bekanntesten Social-Media-Plattform. Dagegen geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein - und zwar ohne expliziten Auftrag eines von diesem Datenschutzverstoß Betroffenen. Bevor er die Klage inhaltlich und rechtlich bewerten konnte, musste der Bundesgerichtshof (BGH) zuerst einmal klären: Darf der Verbraucherschutzverein das überhaupt?
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Im folgenden Fall ging es um einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Informationspflichten der wohl immer noch bekanntesten Social-Media-Plattform. Dagegen geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein - und zwar ohne expliziten Auftrag eines von diesem Datenschutzverstoß Betroffenen. Bevor er die Klage inhaltlich und rechtlich bewerten konnte, musste der Bundesgerichtshof (BGH) zuerst einmal klären: Darf der Verbraucherschutzverein das überhaupt?
In dem Fall ging es um das soziale Netzwerk Facebook. Nutzer konnten dort über ein "App-Zentrum" Spiele starten. Vor dem Start erschien ein Hinweis, dass die Spieleanbieter auf viele persönliche Daten zugreifen dürfen - etwa E-Mail-Adresse, Statusmeldungen oder Fotos. Außerdem hieß es, dass die Anwendung in ihrem Namen posten dürfe. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fand das nicht in Ordnung und meinte, die Nutzer würden nicht klar genug über die Datenverwendung informiert. Das sei nicht nur ein Verstoß gegen Datenschutzregeln, sondern auch wettbewerbswidrig. Deshalb wollte er Facebook per Klage verbieten lassen, solche Hinweise zu verwenden. Facebook sah das anders und wehrte sich bis vor den BGH.
Der BGH aber gab den Verbraucherschützern Recht: Verbände dürfen klagen, wenn Datenschutzvorgaben verletzt werden - und zwar auch, ohne dass ein Betroffener mitmacht. Es reiche völlig aus, wenn viele Menschen potentiell betroffen sind. Die Richter stimmten zudem der Annahme zu, dass die Hinweise im App-Zentrum unklar und unvollständig waren. Die Nutzer würden nicht verständlich darüber informiert werden, welche Daten wie und warum verarbeitet werden. Genau solche Informationen seien aber wichtig, damit Menschen bewusst entscheiden können, ob sie zustimmen wollen oder nicht. Deshalb dürfen Verbraucherschutzverbände hier einschreiten.
Hinweis: Verbraucherschutzverbände können gegen Datenschutzverstöße auch vorgehen, wenn keine einzelne betroffene Person klagt. Unternehmen müssen Nutzer klar und verständlich über die Datenverarbeitung informieren. Unklare Hinweise verstoßen häufig gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht.
Quelle: BGH, Urt. v. 27.03.2025 - I ZR 186/17(aus: Ausgabe 07/2025)
Bitte setzen! Hitzeschützende Fußmatten gehören nicht zur Verkehrssicherungspflicht von Dampfsaunabetreibern
Haben Sie schon längere Zeit in einer Sauna gestanden oder andere dort stehend verweilen sehen? Der folgende Fall des Landgerichts Coburg (LG) macht klar, warum das aller Wahrscheinlichkeit nicht so ist. Die folglich zu klärende Frage war, ob ein Saunabetreiber für Verbrennungen an den Füßen eines Gastes haften muss, der beim Verlassen einer Sauna länger stehenblieb und sich dabei verletzt hatte.
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Haben Sie schon längere Zeit in einer Sauna gestanden oder andere dort stehend verweilen sehen? Der folgende Fall des Landgerichts Coburg (LG) macht klar, warum das aller Wahrscheinlichkeit nicht so ist. Die folglich zu klärende Frage war, ob ein Saunabetreiber für Verbrennungen an den Füßen eines Gastes haften muss, der beim Verlassen einer Sauna länger stehenblieb und sich dabei verletzt hatte.
Ein Mann wollte sich in einer Sauna entspannen, die etwa 90 °C Betriebstemperatur aufwies. Beim Hinausgehen blieb der Mann noch ein bis zwei Minuten auf den Kunststoffmatten in der Nähe des heißen Saunaofens stehen, um mit einem Bekannten zu plaudern. Kurz darauf schmerzten seine Füße, und es stellte sich heraus, dass er sich beim abschließenden Schwätzchen Verbrennungen zugezogen hatte, die ärztlich behandelt werden mussten. Der Mann verlangte daraufhin 5.000 EUR Schmerzensgeld vom Betreiber der Saunalandschaft, da er meinte, der Boden sei zu heiß gewesen und die Kunststoffmatten hätten ihn nicht vor der Hitze geschützt.
Das LG wies die Klage jedoch ab. Das Gericht war der Auffassung, dass der Betreiber keine Schuld trägt. Die Temperaturen am Boden seien mit 55 °C bis 60 °C für diese Art Sauna normal. Die Matten seien rutschfest und damit für ihren eigentlichen Zweck geeignet gewesen - Hitzeschutz gehörte nicht dazu. Außerdem sei es unüblich, lange an einer Stelle auf dem heißen Boden zu stehen. Die Sauna sei ein Ort der Ruhe - kein Platz für längere Gespräche. Dass es bei langem Stehen zu Verbrennungen kommen kann, sei jedem klar. Der Betreiber müsse daher auch keine besonderen Schutzmaßnahmen für solche Situationen treffen.
Hinweis: Die Sauna ist kein Treffpunkt für Smalltalk im Stehen, sondern dient der Entspannung. Wer zu lange steht, riskiert Verletzungen. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Quelle: LG Coburg, Urt. v. 18.11.2024 - 52 O 439/23(aus: Ausgabe 07/2025)
Datenverarbeitung ohne Rechtsgrundlage: Meta muss Persönlichkeitsprofile löschen und Schadensersatz zahlen
Der Meta-Konzern und der Datenschutz - eine Kombination, die offensichtlich nie zueinander passen wird. Denn wie heißt es so schön: Wenn du für ein Produkt nichts zahlst, bist womöglich du das Produkt. Das Landgericht Berlin II (LG) hat diesem Denken und vor allem Handeln jedoch einen Riegel vorgeschoben, was personenbezogene Daten angeht, die über sogenannte Meta-Business-Tools gesammelt wurden.
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Der Meta-Konzern und der Datenschutz - eine Kombination, die offensichtlich nie zueinander passen wird. Denn wie heißt es so schön: Wenn du für ein Produkt nichts zahlst, bist womöglich du das Produkt. Das Landgericht Berlin II (LG) hat diesem Denken und vor allem Handeln jedoch einen Riegel vorgeschoben, was personenbezogene Daten angeht, die über sogenannte Meta-Business-Tools gesammelt wurden.
Die Betroffenen hatten geklagt, weil Meta ihre Aktivitäten auf vielen Websites und in Apps mitverfolgt und ausgewertet haben soll. Diese Websites nutzten die sogenannten Meta-Business-Tools, die Daten automatisch an Meta weiterleiten - oft, ohne dass Nutzer davon etwas mitbekommen. So konnte Meta zum Beispiel erfahren, ob jemand eine Apotheke besucht, eine politische Meinung äußert oder ob ein Suchtrisiko bestehe. Die gesammelten Infos wurden laut Gericht genutzt, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen, ohne dass die Nutzer das erlaubt hatten. Meta meinte, nicht selbst verantwortlich zu sein, da es die jeweiligen Websitebetreiber seien, die die Tools einsetzen. Außerdem würden persönliche Daten nur genutzt, wenn jemand eingewilligt habe - sonst nur zu Zwecken wie Sicherheit oder Systemschutz.
Das sah das LG jedoch anders und entschied, dass Meta die Daten ohne gültige Einwilligung verarbeitet und damit gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstoßen habe. Deshalb müssen die Daten gelöscht oder anonymisiert werden. Und weil dabei Persönlichkeitsrechte verletzt wurden, bekommt jeder Betroffene 2.000 EUR Schadensersatz.
Hinweis: Noch sind die Urteile nicht rechtskräftig - Meta kann dagegen Berufung einlegen. Wer Onlinedienste nutzt, muss sich jedoch auf den Schutz der eigenen Daten verlassen können. Persönlichkeitsprofile ohne Zustimmung zu erstellen, ist nicht erlaubt. Gerichte schützen hier die Rechte der Nutzer.
Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 04.04.2025 - 39 O 56/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Hecken sind Ländersache: In Hessen zählt statt Höhenbegrenzung nur Mindestabstand zum Nachbarn
Wie hoch eine Hecke sein darf, entscheidet das jeweilige Landesrecht. Um einem Zwist mit Grundstücksnachbarn vorzubeugen, sollte der Zollstock dabei jedoch nicht nur in die Höhe gereckt werden. Denn der Abstand zum jeweiligen Nachbarn ist für eine Hecke, die hoch hinaus will, fast noch wichtiger. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun mit einem hessischen Bambusgewächs und den diesbezüglichen Urteilen der Vorinstanzen beschäftigen.
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Wie hoch eine Hecke sein darf, entscheidet das jeweilige Landesrecht. Um einem Zwist mit Grundstücksnachbarn vorzubeugen, sollte der Zollstock dabei jedoch nicht nur in die Höhe gereckt werden. Denn der Abstand zum jeweiligen Nachbarn ist für eine Hecke, die hoch hinaus will, fast noch wichtiger. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun mit einem hessischen Bambusgewächs und den diesbezüglichen Urteilen der Vorinstanzen beschäftigen.
In dem Fall ging es um zwei Grundstücke in Hessen. Die Beklagte hatte auf einer alten Aufschüttung an der Grenze zu ihrem Nachbarn Bambus gepflanzt. Und dieser tat, was von einem gesund gedeihenden Bambus erwartet wird: Er wuchs tüchtig, so dass bei sechs bis sieben Metern Schluss war mit der Geduld des Grundstücksnachbarn. Dieser verlangte, dass die Pflanzen auf drei Meter zurückgeschnitten werden. Das Landgericht gab ihm noch recht, das Oberlandesgericht (OLG) wies die Klage dann jedoch ab - nun war der BGH gefragt.
Der BGH hob das Urteil auf - aber nicht, weil der Bambus zu hoch war, sondern wegen eines Verfahrensfehlers des OLG. Das war zwar davon ausgegangen, dass der Nachbar den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von 75 cm zur Grenze eingehalten habe, woran der BGH jedoch so seine Zweifel hegte. Daher muss das OLG nun prüfen, ob der Abstand auch wirklich eingehalten wurde. Denn grundsätzlich gilt: Nur wenn eine Hecke zu nah an der Grenze steht, kann ein Rückschnitt verlangt werden. Eine Maximalhöhe für Hecken gibt es in Hessen dabei nicht, nur eben die Vorschrift, dass Hecken von zwei Metern Höhe den erwähnten Mindestabstand zum Nachbargrundstück einhalten müssen. Wichtig war in diesem Fall, auch zu betonen, dass die zulässige Höhe dabei vom Boden des Grundstücks gemessen wird, auf dem die Hecke steht - auch wenn dieses höher liegt als das Nachbargrundstück, so wie hier durch eine Aufschüttung. Nur wenn das Gelände künstlich aufgeschüttet wurde, um die Pflanzen höher wirken zu lassen, zähle das ursprüngliche Bodenniveau. Im vorliegenden Fall war die Aufschüttung aber schon Jahrzehnte alt. Deshalb ist der Bambus trotz seiner Höhe möglicherweise erlaubt.
Hinweis: Hecken dürfen grundsätzlich so hoch wachsen, wie es das jeweilige Landesrecht erlaubt. Eine feste Höhengrenze - zum Beispiel drei Meter - gibt es nicht automatisch. Wichtig ist vor allem der Abstand zur Grundstücksgrenze.
Quelle: BGH, Urt. v. 28.03.2025 - V ZR 185/23(aus: Ausgabe 07/2025)
Keine anwaltsspezifische Tätigkeit: Zur Vergütung einer während der Corona-Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspflegerin
Die Corona-Pandemie ist überwunden, deren Rechtsfolgen noch nicht. Welche Vergütung steht zum Beispiel einem während der Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspfleger zu? Die Abrechnungsmodalitäten eines solchen Ausnahmefalls gingen im folgenden Fall bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der klären musste, wie eine Berufsbetreuerin zu vergüten sei.
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Die Corona-Pandemie ist überwunden, deren Rechtsfolgen noch nicht. Welche Vergütung steht zum Beispiel einem während der Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspfleger zu? Die Abrechnungsmodalitäten eines solchen Ausnahmefalls gingen im folgenden Fall bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der klären musste, wie eine Berufsbetreuerin zu vergüten sei.
Am 14.05.2019 ließen die Großeltern einen Schenkungs- und Übergabevertrag zur Übertragung von Grundeigentum auf die Enkelkinder beurkunden. Auf Seiten der Enkelkinder traten dabei deren Eltern auf. Für die ausstehende Genehmigung des Vertragsschlusses bestellte das zuständige Amtsgericht schließlich eine Ergänzungspflegerin für die Enkelkinder, bei der es sich um eine Berufsbetreuerin handelte. Die Verpflichtung erfolgte fernmündlich. Nachdem die Ergänzungspflegerin einige Punkte im Vertrag mit dem Notar erörtert hatte, genehmigte sie schließlich den Vertrag. Es bestünden keine Bedenken. Insbesondere ergab sich für die Enkelkinder keine Kostenlast, da der Vater die Übernahme etwaiger Kosten erklärt hatte. Später beantragte die Ergänzungspflegerin, ihre Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) festzusetzen, und errechnete rund 3.500 EUR bei einem Gegenstandswert von 260.000 EUR. Gegen diese Festsetzung richtete sich der Vater der Kinder.
Die Ergänzungspflegerin wurde nach Ansicht des BGH wirksam nach den damals geltenden Ausnahmeregelungen bestellt. Auch die Kosten wurden grundsätzlich wirksam festgesetzt. Die Vergütung des Ergänzungspflegers kann in Fällen wie dem vorliegenden auch gegen denjenigen festgesetzt werden, der sich zur Übernahme dieser Kosten vertraglich verpflichtet hat - in diesem Fall gegen den Vater. Allerdings konnte die Ergänzungspflegerin keine Kosten nach dem RVG geltend machen, denn dazu muss das Gericht bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Ergänzungspflegers aussprechen, dass dieser eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübt. Dies war hier nicht erfolgt.
Hinweis: Anwaltsgebühren nach dem RVG gibt es also nur für anwaltsspezifische Tätigkeiten. Werden diese bei der Bestellung der Ergänzungspfleger nicht festgestellt, sind nur Gebühren nach dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern möglich. Achten Sie hierauf, bevor Sie vorschnell eine Rechnung begleichen.
Quelle: BGH, Urt. v. 16.04.2025 - XII ZB 227/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Konkreter Unterstützungsbedarf: Betreuerbestellung ohne Kenntnis über Aufenthalt des Betroffenen möglich
Eine Betreuung ohne Kenntnis des aktuellen Aufenthaltsorts eines Betreuten klingt zunächst absurd, da sie unmöglich erscheint. Und dennoch: Auch in Abwesenheit können für den Betreuten richtungsweisende positive Entscheidungen getroffen werden. In diesem Fall musste der Bundesgerichtshof (BGH) über die Bestellung eines Berufsbetreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge entscheiden.
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Eine Betreuung ohne Kenntnis des aktuellen Aufenthaltsorts eines Betreuten klingt zunächst absurd, da sie unmöglich erscheint. Und dennoch: Auch in Abwesenheit können für den Betreuten richtungsweisende positive Entscheidungen getroffen werden. In diesem Fall musste der Bundesgerichtshof (BGH) über die Bestellung eines Berufsbetreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge entscheiden.
Der Betroffene leidet an einer kognitiven Störung, die wahrscheinlich auf die beginnende Demenz zurückzuführen ist. Eine leichte Intelligenzminderung liegt ebenso vor. Der Mann drohte zu verwahrlosen. Im Jahr 2018 hatte der Mann einer nahestehenden Person eine umfassende notariell beurkundete Generalvollmacht erteilt. Trotzdem bestellte das zuständige Amtsgericht einen beruflichen Betreuer, unter anderem für Vermögenssachen. Ein Sachverständiger hatte dies nahegelegt. Ende 2023 widerrief der Betreuer die dem Vertrauten erteilte Vollmacht, so dass ein Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet wurde. Bevollmächtigter und Betroffener legten Beschwerde ein und scheiterten. Der Rechtsbehelf wurde zurückgewiesen, ohne den Mann nochmal anzuhören. Denn dieser war am Heiligabend 2023 unter ungeklärten Umständen aus seiner Wohneinrichtung verschwunden und wird seitdem vermisst.
Der BGH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und betonte: Eine Betreuung ist nicht nur bei subjektiver Unfähigkeit des Betroffenen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, anzuordnen, sondern auch dann, wenn ein konkreter Unterstützungsbedarf besteht. Deshalb kann eine Betreuung auch angeordnet werden, wenn der Aufenthaltsort des zu Betreuenden derzeit unbekannt sei. Die Post, Behördengänge und weitere Tagesgeschäfte müssten schließlich trotzdem erledigt werden. Der angeordnete Einwilligungsvorbehalt sei schon deshalb notwendig, da dem Mann wegen seiner Krankheit und Persönlichkeitsstruktur eine konkrete massive Fremdbeeinflussung drohe. Dies könne sein Vermögen gefährden.
Hinweis: Bei der Betreuung geht es immer um das Wohl des Betroffenen. Insbesondere dessen Vermögen kann und muss auch in Abwesenheit geschützt werden. Deswegen kann auch eine Betreuung in Abwesenheit angeordnet werden.
Quelle: BGH, Beschl. v. 09.04.2025 - XII ZB 235/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Lenkradgewichte am Tesla: Bußgeld nach Außerfunktionssetzung von Sicherungsmechanismen
Was nützt die beste Technik, wenn man sie nicht zu nutzen weiß? So könnte der folgende Autofahrer gedacht haben, dessen Tesla einige technische Details bietet, die Verbrennern eher fremd sind, zum Beispiel einen Autopiloten. So verführerisch es dabei auch sein mag, dessen Sicherheitsmechanismen auszutricksen: Finger weg, sonst landet man schnell vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG), wenn man sich gegen den Bußgeldbescheid zu wehren versucht.
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Was nützt die beste Technik, wenn man sie nicht zu nutzen weiß? So könnte der folgende Autofahrer gedacht haben, dessen Tesla einige technische Details bietet, die Verbrennern eher fremd sind, zum Beispiel einen Autopiloten. So verführerisch es dabei auch sein mag, dessen Sicherheitsmechanismen auszutricksen: Finger weg, sonst landet man schnell vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG), wenn man sich gegen den Bußgeldbescheid zu wehren versucht.
Ein Autofahrer war mit seinem Auto auf der Autobahn unterwegs, einem Tesla, der mit der "Autopilot 3.0 Hardware", der "Standard Autopilot Firmware" und der Option "Autopilot" ausgestattet war. Letztere ermöglicht das selbständige Spurhalten, Lenken und Fahren mit Hinderniserkennung. Bei dieser Einstellung muss der Fahrer zur Überprüfung, dass er das Fahrgeschehen kontrolliert, in regelmäßigen Abständen an das Lenkrad fassen. Außerdem wird durch eine Innenraumkamera erfasst, ob die Augen geöffnet sind. Diese Mechanismen hatte der Fahrer jedoch ausgeschaltet, indem er die Kamera abgeklebt und Gewichte an dem Lenkrad angebracht hatte, die die Handbewegungen simulieren sollten. In einem Streckenabschnitt von ca. 8 km fuhr das Fahrzeug somit autonom, während der Fahrer schlief. Im Rahmen einer Polizeikontrolle fiel dieser Vorgang auf, der Betroffene bekam ein Bußgeld von 250 EUR. Dagegen legte er Rechtsmittel ein, da er der Ansicht war, sich nicht verkehrswidrig verhalten zu haben, da er die Automatisierungsfunktionen genutzt habe.
Das BayObLG entschied jedoch, dass der Fahrer durchaus ein Bußgeld zu zahlen hat - und zwar wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs nach Außerfunktionssetzung von Sicherungsmechanismen. Der zulässige Betrieb von vollautomatisierten Fahrfunktionen liege nur dann vor, wenn die entsprechende Klassifikation gegeben sei. Diese richte sich allein nach den vom Bundesministerium für Verkehr vorgenommenen Eingruppierungen. Dass das Fahrzeug durch nicht zulässige Manipulationen auf einen höheren als vom Hersteller vorgesehenen Automatisierungsgrad gehoben wird, spiele keine Rolle. Daher seien die besonderen Vorschriften für die Pflichten eines Fahrzeugführers bei einem hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeug nicht anwendbar. Es gelten somit die allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften. Danach ist das Führen eines Kraftfahrzeugs nach Außerfunktionssetzung der Sicherungsmechanismen des Herstellers bußgeldbewehrt. Ein Bußgeld von 250 EUR erschien dem Gericht auch durchaus als angemessen.
Hinweis: § 23 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehrs-Ordnung verpflichtet den Führer eines Kraftfahrzeugs dazu, dafür Sorge zu tragen, dass sich das Fahrzeug in einem vorschriftsmäßigen und verkehrssicheren Zustand befindet. Grundsätzlich hat der Kraftfahrer alle an seinem Fahrzeug gegen eine mögliche Verkehrsgefahr vorgesehenen Sicherungseinrichtungen zu nutzen, auch wenn er deren Notwendigkeit nicht durchschaut.
Quelle: BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 - 202 ObOWi 644/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Patientenverfügung vernachlässigt: Der BGH urteilt zu zwangsweiser Heilbehandlung und Dauer der Unterbringung
Die richtigen Entscheidungen für psychisch Erkrankte zu treffen, ist oft schwer. Man weiß nicht, ob man ihnen wirklich etwas Gutes tut oder in ihre Rechte eingreift, ohne eine ausreichende Grundlage dafür vorweisen zu können. Selbst Gerichte können bei dieser schwierigen Abwägung irren. Gut, dass es bei derlei Irrtümern den Bundesgerichtshof (BGH) gibt. Dieser urteilte im Folgenden für die Betroffene und gegen die Kollegen der Vorinstanz.
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Die richtigen Entscheidungen für psychisch Erkrankte zu treffen, ist oft schwer. Man weiß nicht, ob man ihnen wirklich etwas Gutes tut oder in ihre Rechte eingreift, ohne eine ausreichende Grundlage dafür vorweisen zu können. Selbst Gerichte können bei dieser schwierigen Abwägung irren. Gut, dass es bei derlei Irrtümern den Bundesgerichtshof (BGH) gibt. Dieser urteilte im Folgenden für die Betroffene und gegen die Kollegen der Vorinstanz.
Eine an paranoider Schizophrenie leidende Frau war bereits mehrfach untergebracht worden. In der von ihr verfassten Patientenverfügung lehnte sie die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva grundsätzlich ab. Ihre Betreuerin beantragte im September 2024 die Unterbringung, die Betroffene kam in eine geschützte Einrichtung. Die Betreuerin willigte zudem in eine ärztliche Zwangsmedikation ein - befristet bis zum 07.11.2024. Das Landgericht Dresden (LG) bestätigte die Unterbringung. Den Antrag der Betroffenen auf Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohnstätte lehnte es jedoch ab. Die Betroffene legte Beschwerde beim BGH ein.
Der BGH hob die Entscheidung des LG bezüglich der Unterbringung auf und stellte fest, dass die bereits abgelaufenen Zwangsbehandlungsmaßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Nach Ansicht des BGH liegen die Voraussetzungen für eine Unterbringung zur Heilbehandlung nicht vor. Denn diese setze voraus, dass die Behandlung auch durchgeführt werden könne. Dies gehe nur über den natürlichen Willen des Betreuten zur Behandlung. Liegt dieser Wille nicht vor, müssen die Zwangsbehandlungen wirksam genehmigt werden. Das LG hatte diese nur bis zum 07.11.2024 genehmigt, dabei aber nicht ausreichend begründet, warum darüber hinaus noch Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden können. Auch wurde die Patientenverfügung der Betroffenen nicht ausreichend beachtet. Man hatte sie wegen der Erkrankung der Betroffenen schlichtweg als unwirksam erachtet, ohne in eine genaue Prüfung zu gehen.
Hinweis: Auch bei psychisch erkrankten Menschen ist der in einer Patientenverfügung festgehaltene Wille zu beachten bzw. zu prüfen, ob die Betroffenen einsichtsfähig genug sind, in diesem Bereich wirksam für sich selbst zu entscheiden.
Quelle: BGH, Beschl. v. 05.02.2025 - XII ZB 547/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Rechtmäßige Kfz-Sicherstellung: Keine Herausgabe des Schmugglerfahrzeugs bei begründetem Verdacht auf Drogengeschäfte
Der Kampf gegen illegale Drogen erinnert oft an das Rennen zwischen Hase und Igel. Im Folgenden war endlich mal wieder der "Hase" erfolgreich, und zwar in Einheit von Zollfahndung und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG). Der Zoll entdeckte das eindeutig als Schmugglerfahrzeug erkennbare Auto und stellte es sicher. Und das Gericht musste nun entscheiden, ob die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs berechtigt ist.
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Der Kampf gegen illegale Drogen erinnert oft an das Rennen zwischen Hase und Igel. Im Folgenden war endlich mal wieder der "Hase" erfolgreich, und zwar in Einheit von Zollfahndung und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG). Der Zoll entdeckte das eindeutig als Schmugglerfahrzeug erkennbare Auto und stellte es sicher. Und das Gericht musste nun entscheiden, ob die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs berechtigt ist.
Zollbeamte hatten den Kläger auf einer Bundesautobahn kontrolliert. Der Mann gab dabei an, nicht mehr als 10.000 EUR Bargeld mit sich zu führen und auf dem Rückweg nach Zürich zu sein. Dennoch entdeckte die Zollfahndung in einem professionellen Versteck der Rücksitzbank mehr als 1 Mio. EUR, überwiegend in 20-EUR- und 50-EUR-Banknoten. Das Versteck war mit einer Fernbedienung zu öffnen, die der Kläger an seinem Schlüsselbund trug. Mittels sogenannter Drugwipetests stellten die Zollbeamten zudem Kokainanhaftungen an dem Bargeld sowie an Lenkrad und Schaltung des Fahrzeugs fest. Im Navigationsgerät des Autos war die Route Zürich-Arnheim-Dongen-Amersfort-Mailand aktiv. In den Vordersitzen waren weitere Verstecke aufwendig verbaut.
Die auf Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe des Fahrzeugs gerichtete Klage hat das VG nun abgewiesen. Das Gericht ist überzeugt, dass das Bargeld aus Drogengeschäften stammt und das Fahrzeug für dessen Transport genutzt wurde. Dies dränge sich bei derartigen Verstecken auf. Der Kläger konnte die Herkunft des Bargelds nicht plausibel erklären. Die aktive Route im Navigationssystem des Fahrzeugs mit Ziel in Mailand widerlegte zudem seine Angabe, er fahre von den Niederlanden nach Zürich zurück. Bei Rückgabe des Fahrzeugs würde der Kläger es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut für Kurierfahrten von Drogengeld oder Drogen benutzen. Die von ihm hilfsweise verlangte Herausgabe nach Ausbau der Sitze komme nicht in Betracht. Denn dem Zoll obliege nicht der aufwendige Umbau des Autos, damit der Kläger dies nicht mehr (zeitnah) zum Drogengeldtransport einsetzen könne. Eine Herausgabe mit der Pflicht zum Umbau durch den Kläger komme aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr ebenso wenig in Betracht. Die Rechtsordnung müsse nicht die Unsicherheit hinnehmen, ob der in der Schweiz wohnhafte Kläger der Pflicht nachkäme.
Hinweis: Die Sicherstellung des Fahrzeugs war rechtmäßig. Die Zollbehörden haben zu Recht eine von dem Fahrzeug ausgehende gegenwärtige Gefahr für die Rechtsordnung angenommen. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Vorliegend durfte die Behörde annehmen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass das Fahrzeug des Klägers in allernächster Zeit (erneut) für den illegalen Transport von Drogen bzw. Drogengeldern verwendet wird.
Quelle: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 28.04.2025 - 17 K 2963/20(aus: Ausgabe 07/2025)
Unentbehrlicher Hinweis: Gericht verletzt Hinweispflicht auf mögliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung
Es macht einen großen Unterschied, wessen man beschuldigt wird - ob der Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes. Was einem im schlimmsten Fall blühen kann, muss man als Beschuldigter schließlich wissen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war es dem Wiederholungstäter und seinem Anwalt erst gar nicht möglich gewesen, sich ordentlich vorzubereiten. Und zwar nicht, weil beide nicht erschienen waren, sondern wegen einer Nachlässigkeit des Amtsgerichts (AG).
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Es macht einen großen Unterschied, wessen man beschuldigt wird - ob der Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes. Was einem im schlimmsten Fall blühen kann, muss man als Beschuldigter schließlich wissen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war es dem Wiederholungstäter und seinem Anwalt erst gar nicht möglich gewesen, sich ordentlich vorzubereiten. Und zwar nicht, weil beide nicht erschienen waren, sondern wegen einer Nachlässigkeit des Amtsgerichts (AG).
Ein Autofahrer wurde mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h erwischt, so dass gegen ihn ein Bußgeldbescheid in Höhe von 385 EUR und einem Monat Fahrverbot erging. Das Bußgeld war aufgrund mehrerer Voreintragungen erhöht worden, weil eine fahrlässige Begehungsweise zugrunde gelegt wurde. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene Einspruch ein.
Vor dem Hauptverhandlungstermin wies das zunächst zuständige AG darauf hin, dass aufgrund der Beschilderung durch sogenannte Geschwindigkeitstrichter eine Erhöhung der Geldbuße wegen "grob fahrlässiger" Begehungsweise erfolgen könnte. Da weder der Betroffene noch der Verteidiger erschien, wurde in Abwesenheit verhandelt und im Protokoll darauf verwiesen, "dass die Problematik der vorsätzlichen Begehung" erörtert wurde. Daraufhin erfolgte eine Verurteilung zu einem Bußgeld in Höhe von 640 EUR wegen vorsätzlicher Begehung. Der Betroffene legte Rechtsbeschwerde ein, er sei zuvor nicht informiert worden, dass zudem ein Vorsatz im Raum stehe.
Das OLG gab dem Betroffenen Recht. Das AG war seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, auf die mögliche Verurteilung wegen Vorsatzes hinzuweisen. Der Hinweis sei nicht entbehrlich gewesen, da sich aus der Bußgeldhöhe ergeben habe, dass die Bußgeldstelle von einer fahrlässigen Begehung ausgegangen sei. Außerdem habe das Gericht in seiner Ladung auf die Möglichkeit der Verurteilung wegen "grober Fahrlässigkeit" hingewiesen, daher habe der Betroffene erst recht darauf vertrauen dürfen, nicht wegen Vorsatzes verurteilt zu werden. Die Erörterung in Abwesenheit genüge nicht. Das Urteil wurde durch das OLG daher aufgehoben und an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Hinweis: Hat das Gericht den Betroffenen und seinen Verteidiger in der Ladungsverfügung auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen grober Fahrlässigkeit hingewiesen, nicht aber auf eine solche wegen Vorsatzes, darf der Betroffene mit Blick auf diesen Hinweis darauf vertrauen, nicht wegen einer Vorsatztat verurteilt zu werden.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 10.02.2025 - 1 ORbs 4/25(aus: Ausgabe 07/2025)
Verhüllungsverbot schlägt Religionsfreiheit: Gesichtsschleier Nikab bleibt strenggläubiger Muslima hinterm Steuer verboten
Oft wird vermutet, dass Grundrechte immer und überall andere rechtliche Bedenken schlagen. Klingt logisch - ist es aber nicht. Das zeigt besonders dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG): Hier war die Religionsfreiheit mit der Sicherheit im Straßenverkehr abzuwägen - und es war nicht unerheblich, dass es hierbei auch um die Sicherheit anderer ging.
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Oft wird vermutet, dass Grundrechte immer und überall andere rechtliche Bedenken schlagen. Klingt logisch - ist es aber nicht. Das zeigt besonders dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG): Hier war die Religionsfreiheit mit der Sicherheit im Straßenverkehr abzuwägen - und es war nicht unerheblich, dass es hierbei auch um die Sicherheit anderer ging.
Die Klägerin beantragte die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer das Gesicht verhüllenden, lediglich die Augen freilassenden Verschleierung, einer sogenannten Nikab. Die 33-jährige Deutsche berief sich dabei auf ihren muslimischen Glauben. Sie wolle "zu den besten Frauen des Propheten gehören" und selbst darüber entscheiden, wer wie viel von ihrem Körper bzw. ihrem Gesicht sehen dürfe. Mit Bescheid vom 22.01.2024 lehnte die Berliner Senatsverwaltung die begehrte Ausnahmegenehmigung ab. Von dem gesetzlichen Verbot, das Gesicht beim Führen eines Kraftfahrzeugs so zu verhüllen oder zu verdecken, dass der Fahrzeugführer nicht mehr erkennbar ist, sei im Fall der Klägerin keine Ausnahme zu machen. Genau dagegen klagte die Frau.
Das VG hat die Klage jedoch abgewiesen. Eine Ausnahmegenehmigung könne die Klägerin auch mit Blick auf ihre grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit nicht beanspruchen. Diese müsse nach Abwägung aller widerstreitenden Interessen hinter anderen Verfassungsgütern zurücktreten. Das Verhüllungsverbot gewährleiste eine effektive Verfolgung von Rechtsverstößen im Straßenverkehr, indem es die Identifikation der Verkehrsteilnehmer ermögliche, etwa im Rahmen von automatisierten Verkehrskontrollen. Es diene zudem dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums Dritter, weil sich Kraftfahrzeugführer, die damit rechnen müssten, bei Regelverstößen herangezogen zu werden, eher verkehrsgerecht verhalten würden als nicht ermittelbare Autofahrer. Diesen Gesichtspunkten gegenüber wiegt der Eingriff in die Religionsfreiheit der Klägerin weniger schwer. Ein gleich wirksames, aber mit geringeren Grundrechtseinschränkungen verbundenes Mittel zur Erreichung der mit dem Verhüllungsverbot verfolgten Zwecke stehe nicht zur Verfügung. So könne etwa eine Fahrtenbuchauflage nur dem Halter eines Fahrzeugs auferlegt werden; die Klägerin begehre jedoch eine Ausnahme in ihrer Eigenschaft als Führerin eines Fahrzeugs. Gleichermaßen ungeeignet erscheint der Vorschlag der Klägerin, eine Nikab mit einem "einzigartigen, fälschungssicheren QR-Code" zu versehen und die Ausnahme vom Verhüllungsverbot mit einer solchen Auflage zu verbinden. Denn dadurch sei nicht sichergestellt, dass die Person, die den Nikab trage, auch tatsächlich die Person sei, für die der QR-Code erstellt wurde.
Hinweis: Die Entscheidung entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung. So hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem Beschluss vom 13.08.2024 (7 A 10660/23.OVG) argumentiert, dass die Straßenverkehrs-Ordnung einem Autofahrer in § 23 Abs. 4 verbietet, das Gesicht "so zu verhüllen oder zu verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist".
Quelle: VG Berlin, Urt. v. 27.01.2025 - 11 K 61/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Versorgungsträger berücksichtigen: Ausgleich von geringfügigen Anrechten liegt im familiengerichtlichen Ermessen
Erklären Eheleute im Zuge ihrer Scheidung beim Versorgungsausgleich einvernehmlich, vom Ausgleich zweier geringfügiger Versorgungsanrechte abzusehen, dann ist es nur recht und billig, wenn das Familiengericht dem im Endeffekt folgt. Allerdings darf man dabei Versorgungsträger wie die Rentenversicherung nicht vergessen, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) zeigt.
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Erklären Eheleute im Zuge ihrer Scheidung beim Versorgungsausgleich einvernehmlich, vom Ausgleich zweier geringfügiger Versorgungsanrechte abzusehen, dann ist es nur recht und billig, wenn das Familiengericht dem im Endeffekt folgt. Allerdings darf man dabei Versorgungsträger wie die Rentenversicherung nicht vergessen, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) zeigt.
Die Eheleute hatten im Rahmen ihrer Scheidung auch den Versorgungsausgleich geregelt. Auf den Ausgleich zweier geringfügiger Anrechte verzichteten sie einvernehmlich. Sie ließen dies durch ihre Anwälte entsprechend erklären. Dem folgte das Familiengericht. Die Versorgungsträger richteten dagegen aber eine Rechtsbeschwerde.
Die Beschwerde war zwar auch nach Ansicht des OLG begründet, aber im Endeffekt gewannen die Versorgungsträger dadurch nichts. Denn das Gericht änderte den Beschluss dahingehend ab, dass die Anrechte zwar an sich auszugleichen wären, vom Ausgleich aber abgesehen wird. Das Familiengericht durfte dahingehend wegen der Geringfügigkeit der Ausgleichswerte eine Ermessensentscheidung ausüben. Bei der Ermessensentscheidung war auch die Entscheidung der Eheleute ausschlaggebend. Beide waren mit dem Absehen vom Ausgleich einverstanden. Im Endeffekt entspricht dies auch dem Interesse des Versorgungsträgers.
Hinweis: Verzichte sollten im Rahmen des Versorgungsausgleichs immer auch mit den Versorgungsträgern abgestimmt sein. Geht es um einen Ausgleich von höheren Werten, wird ein Verzicht nicht ohne die Zustimmung der Versorgungsträger möglich sein, da der Verzicht sonst zu deren Lasten gehen würde. Bei geringfügigen Werten ist die Sachlage anders, der Verzicht kommt günstiger als der Verwaltungsaufwand des Ausgleichs.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.03.2025 - 20 UF 6/25(aus: Ausgabe 07/2025)
Vorbeugung von Missbrauch: Festivalbetreiber darf Rücktauschfrist und Betragsgrenze von Token festsetzen
Ein Token - einst der Begriff für einen frühgeschichtlichen Rechenstein - hat sich heute zwar ins Digitale verflüchtigt, dabei aber nicht an Wert verloren. So gelten Bitcoins als Token oder auch Wertmarken auf Festivals - eine praktische Sache für beide Seiten an den dortigen Verkaufstheken. Was aber damit passiert, wenn man zu viel davon gekauft hat und nach der Veranstaltung weder Lust noch Zeit für einen sofortigen Umtausch hat, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entscheiden.
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Ein Token - einst der Begriff für einen frühgeschichtlichen Rechenstein - hat sich heute zwar ins Digitale verflüchtigt, dabei aber nicht an Wert verloren. So gelten Bitcoins als Token oder auch Wertmarken auf Festivals - eine praktische Sache für beide Seiten an den dortigen Verkaufstheken. Was aber damit passiert, wenn man zu viel davon gekauft hat und nach der Veranstaltung weder Lust noch Zeit für einen sofortigen Umtausch hat, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entscheiden.
Bei einem großen Musikfestival durften Besucher nur mit speziellen Token bezahlen, etwa für Essen und Getränke. Diese Token konnte man nur direkt auf dem Festivalgelände kaufen - und auch nur dort wieder zurücktauschen. Die Regeln des Veranstalters sahen vor: Der Rücktausch ist nur während der Öffnungszeiten an den Festivalkassen und nur bis zu einem Höchstwert von 50 EUR möglich. Nach dem Festival oder im nächsten Jahr ist eine Rückgabe nicht mehr erlaubt. Ein Verbraucherschutzverband klagte dagegen. Die Begründung: Gerade am Ende des Festivals sei der Andrang groß. Manche könnten ihre restlichen Token nicht mehr loswerden - zum Beispiel, weil sie schnell zum Zug müssten. Auch die Grenze von 50 EUR sei unfair, da die Besucher vorab nicht wissen könnten, wie viel sie auf dem Gelände brauchen.
Das OLG sah das anders. Es hielt die Regelungen durchaus für rechtens. Die Rücktauschfrist sei zugegeben zwar kurz, deshalb aber nicht automatisch unangemessen. Besucher wüssten schließlich vorher, dass die Token nur auf dem aktuellen Festival gelten. Außerdem sei ein späterer Rücktausch aufwendig - und zwar für beide Seiten. Eine Rückgabe nach dem Festival oder gar erst im nächsten Jahr würde zudem die Gefahr erhöhen, dass gefälschte Token auftauchen. Auch die Grenze von 50 EUR sei verständlich. Laut Veranstalter geben die meisten Besucher sowieso höchstens 35 EUR pro Tag aus. Wer deutlich mehr Token zurückgeben wolle, handle daher eher ungewöhnlich - was ein Hinweis auf Missbrauch sein könne.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht endgültig. Der Bundesgerichtshof soll in der nächsten Instanz klären, ob solche Fristen grundsätzlich erlaubt sind.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.04.2025 - I-20 UKl 9/24(aus: Ausgabe 07/2025)
Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 27.6.2024 brachten eine Zeitenwende im Verhältnis von Wettbewerb und Klimaschutz. Dabei zeigt sich eine Ausrichtung des Green Deal auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und damit eine deutlich andere Gewichtung von Klimaschutz und wirtschaftlicher Entwicklung als bislang nach dem Green Deal und dem EU-Klimapaket, das schon in vielfacher Hinsicht umgesetzt wurde (RED III, EU-GebäudeRL, LastenteilungsVO, 2. Standbein Emissionshandel für Verkehrs und Gebäude etc.).
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 28. März 2025 entschieden, dass dem Begriff der "Hecke" im Sinne der Landesnachbargesetze keine allgemeine Höhenbegrenzung immanent ist. Entscheidend für die Einordnung als Hecke ist vielmehr, ob die Anpflanzung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen geschlossenen Eindruck als Einheit vermittelt.
Im konkreten Fall ging es um eine Bambushecke, die eine Höhe von sechs bis sieben Metern erreicht hatte. Der Kläger verlangte den Rückschnitt auf drei Meter, gemessen vom Bodenniveau seines Grundstücks.
Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass der im hessischen Nachbarrechtsgesetz vorgeschriebene Grenzabstand von 0,75 Metern eingehalten wurde und keine ungewöhnlich schweren Beeinträchtigungen vorlägen.
Der BGH bestätigte, dass es keine allgemeine Höhenbegrenzung für Hecken gibt und verwies den Fall zur erneuten Prüfung an das Oberlandesgericht zurück. Dieses soll nun klären, ob der gesetzliche Grenzabstand tatsächlich eingehalten wurde.